Kurzer Abriss der Schulgeschichte
Seinen Anfang nimmt die Geschichte der Bibliothek in jenem Zustand, den wir bei Schulen mittlerweile für den Normalzustand zu halten , mit einer Krise nämlich. In der Krise ist Ende des 18. Jahrhundert die Vorläuferin des heutigen Gymnasium Petrinum, die alte Latein- und Klosterschule Recklinghausen, die ihre etwas ungenau überlieferte Gründung auf das Jahr 1429 datiert. Nur noch ein paar pädagogisch wohl weniger begabte Mönche unterrichteten damals eine Handvoll Schüler.
1789 berief deshalb der damalige Landesherr, Maximilian Franz, Erzbischof von Köln und Kurfürst des Reiches, Bruder von Marie Antoinette, die bald auf den Schafott sterben sollte, eine Schulkommission für das Vest Recklinghausen ein. Aus diesem Jahr stammt auch die erste Erwähnung einer Bibliothek an der Schule. Die Kommission erarbeitete eine Reihe von Reformvorschlägen, darunter war auch ein Finanzierungskonzept. Ein „Schulfonds“ sollte 6 Lehrerstellen finanzieren. Basis des Fonds sollten die Erträge aus Liegenschaften in der Umgebung sein. Der Kurfürst stellt einen solchen Fonds in Aussicht und richtet eine entsprechende Stiftung ein, die am 11.Dezember 1793 auch ins Leben tritt.
Die Kriegs- und Krisenzeiten, die in den folgenden 2 Jahrzehnten in Mitteleuropa jedoch keinen Stein im Gebäude von Staat und Gesellschaft mehr auf dem anderen ließen, verhindern, dass dieses Projekt zu einer wirklichen Verbesserung der Schulverhältnisse im Vest führt.
Erst 1820, die Schule untersteht jetzt preußischer Verwaltung, greifen Reformen. Die Schule ist Progymnasium, d.h. sie folgt dem gymnasialen Lehrplan der preußischen Schulreformer, hat aber noch keine Abschlussklassen. Erst ein paar Jahre später erhält die Schule die Würde eines vollen Gymnasiums und nimmt 1829 die erste Abiturprüfung ab. Gymnasium Petrinum hieß es damals allerdings nicht, diesen Namen führt die Schule erst seit Ostern 1929.
Bibliotheksaufbau
Hundert Jahre vorher, 1829, als im Herbst 6 Abiturienten die erste Reifeprüfung an dieser Schule ablegten , hat auch der erste Gymnasialdirektor, Dr. Wüllner, sein Amt angetreten. Mit Dr. Wüllner beginnt die Geschichte dieser Bibliothek. Der Mann ist engagierter Pädagoge und Wissenschaftler zugleich und betreibt den systematischen Aufbau der Lehrerbibliothek. Viel ist bei seinem Amtsantritt an Büchern nicht vorhanden: Die Bibliothek der Franziskaner, die die alte Latein- und Klosterschule zuvor geleitet hatten, ist in den Wirren der Säkularisation, der Klosterauflösung von 1803, zerstreut worden. Reisende Büchertrödler haben hier wohl Restbestände aufgekauft. So sprechen die Quellen denn auch nur davon, dass 1825 gerade mal 80 Werke mit 190 Bänden und 1829 99 Werke mit 208 Bänden vorhanden gewesen sein sollen.
Geld für Neuanschaffungen hat Dr.Wüllner aus einer Schenkung des Herzogs von Arenberg, der in jenen wilden Jahren auch mal eine Zeit lang Herr über Recklinghausen war. 600 Taler hat der Herzog gespendet, 400 wurden sofort für Neukäufe verwendet, 200 in einen neuen Büchereifonds gesteckt, aus dem in den Folgejahren dann die Renditen für Käufe benutzt wurden.
Wüllner kauft aber nicht nur, sondern ruft zu Spenden und zum Sponsoring auf. Offenbar sehr wirksam. Denn die gedruckten „Jahresberichte“, in denen die Schule regelmäßig einen Überblick über ihr Bildungsangebot und ihr Schulleben liefert, verzeichnen fast in jeder Ausgabe , wieviel Bücher der Schule von wohlmeinenden Gönnern überlassen wurden. Bei wertvollen Gaben und ranghohen Spendern sind auch die Geber erwähnt. So wächst die Bibliothek zügig: 1839 sollen bereits 1800 Bände verfügbar gewesen sein. Im Jahr 1900 sind es schon 5830 Bände, 1910 7000.
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Kollegium 1897
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Bedenkt man, dass das Kollegium anfangs nur aus 6 Lehrern bestand und auch 1897 nur 13 Mitglieder zählte, so ist das eine ganz ansehnliche Zahl. Das Photo zeigt auch , dass viele Petriner Direktoren und Lehrer Recklinghäuser Straßen die Namen gaben: Vokeradt, Hukestein, Wildermann, dazu noch der Herr Caspers, der hier schon nicht mehr im Bild ist, der aber von 1821 -1873 hier lehrte.
„Dornröschenschlaf“ und Neubeginn
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ältestes Buch der Bibliothek
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Im Laufe der folgenden Jahrzehnte , vor allem nach dem 2.Weltkrieg,erlebt die Bibliothek allerdings eine Art von Dornröschen-Schicksal. Das Profil der Schule ändert sich, die hier versammelten Werke haben keinen Bezug zu der neueren Pädagogik. Die Bücherei, die hier langsam einstaubt, wird mehr oder minder vergessen, bis sie in den achtziger Jahren von bibliophil engagierten Kollegen wieder entdeckt wird. Öffentliche Ausstellungen in Recklinghausen, Münster und in Bonn, gefördert durch die örtliche Stadtsparkasse, die Stadtverwaltung aber auch durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, machen die Öffentlichkeit auf den Bücherschatz aufmerksam.
Sollte die Bibliothek allerdings in der Schule bleiben und nicht von einer Universitäts- oder Landesbibliothek eingezogen werden, so waren drei Aufgaben zu lösen:
1) Eine bibliothekarische und bibliothekstechnisch kompetente Bestandsaufnahme und Katalogerschließung musste sicher gestellt werden. Beschädigte Bücher waren zu restaurieren, der Raum war bibliothekstauglich zu machen.
2) Ein Nutzungskonzept musste entwickelt werden, da eine bloß antiquarische Aufbewahrung den verbleib der Bücher in der Schule nicht rechtfertigen konnte.
3) Neue Geldquellen waren zu erschließen, denn die Stadt als Schulträger hatte keine Mittel frei.
Durch die verschiedenen Ausstellungen wurde die „Arbeitsstelle für historische Buchbestände Westfalens“ auf die alte Lehrerbibliothek aufmerksam . Gutachten dieser Einrichtung führten zum Engagement der Stiftung „Krupp-von-Bohlen-und-Halbach“, die das Geld .für ein umfassendes Restaurierungsprogramm in den Werkstätten der Universitäts-und Landesbibliothek Münster und für die EDV-Erschließung des Katalogs gab. Heute kann man von jedem Internetanschluß aus auf den Katalog zugreifen. PC-Arbeitsplätze erlauben die Nutzung als Präsenzbibliothek. Schüler und immer wieder auch externe Gäste machen davon regen Gebrauch. Einzelne Fachkonferenzen arbeiten an Nutzungskonzepten, die es erlauben, die Arbeit in der alten Lehrerbibliothek sinnvoll in den Fachunterricht zu integrieren.
Mehrere Tage in der Woche ist eine Bibliotheksaufsicht anwesend.
Der 1793 gegründete, mit wechselvoller Geschichte geschlagene Gymnasialfonds lieferte weitere Mittel. Er blieb erhalten, auch als das Gymnasium staatlich wurde. Ein Kuratorium verwaltete diesen Fonds, der zeitweilig einen großen Anteil der Lehrerstellenfinazierung leistete. Das gab dem Kuratorium das Recht zur Direktor- und Lehrerwahl. So war das Gymnasium Petrinum eine Art „selbständige Schule“ , lange bevor dieses Konzept als jüngstes Produkt der laufenden Schulreformen wieder aktuell wurde. 1967 schien dieser Fonds im Zuge personalpolitischer Querelen endgültig erledigt zu sein, bis er durch das Nachbohren der Altschülervereinigung am Petrinum noch einmal ausgegraben wurde. Der Fonds besaß ursprünglich eine Reihe von durchaus attraktiven Liegenschaften in RE und Umgebung, u.a. auch im Stadtgarten , an der Dorstner Straße/Ecke Arenbergstr., Grundstückspartien vor dem Hittorfgymnasium und Erbpachtgrundstücke von Wohnhäusern.
2002 gab es eine neue Übereinkunft mit der Stadt, die als heutige Besitzerin dieser Liegenschaften anerkannte, dass die Mittel aus diesem Fonds zu Recht weiter dem Petrinum zufließen sollen. Sie dienen zweckgebunden dem Unterhalt der Gymnasialkirche und der alten Lehrerbibliothek.
Heribert Seifert