Gymnasialfonds


Die Geschichte des Gymnasialfonds beginnt 1789, als der Landesherr eine Schulkommission einrichtet, um die desolaten Verhältnisse zu verbessern. Landesherr war der Fürstbischof von Köln, also ein geistlicher Würdenträger, der auch die weltliche Herrschaft ausübte. Das Vest Recklinghausen gehörte seit dem 12. Jahrhundert zum Fürstbistum, lag aber als Exklave weit entfernt von Köln, was der Entwicklung nicht förderlich war, vornehm ausgedrückt.

Die Lage war wirklich prekär, denn in dieser Zeit schreibt der Pfarrer von St. Peter an den vestischen Statthalter: Ich kann es Ew. Exzellenz nicht bergen, zu wünschen wäre es, dass das Gymnasium mit besseren Lehrern besetzt würde oder platterdings einginge. Eine Reform, das war aber klar, kostete Geld, viel Geld, und das musste aufgetrieben werden. Wie wurde die Schule bislang finanziert? Es gab im Wesentlichen zwei Quellen, einmal das Schulgeld, das für den Besuch zu zahlen war und dann den Zuschuss, den der Rat bewilligte. Der gab damals wie heute nicht mit besonders freigiebiger Hand und so lesen wir viele Klagen über bedrückende Verhältnisse, aber man muss doch andererseits auch positiv festhalten, dass es die Stadt über Jahrhunderte geschafft hat – sicherlich oft mit großen Mühen – den Bestand dieser Schule zu sichern.

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Gäste des Festaktes in der historische Bibliothek

Wann sie gegründet wurde, wissen wir nicht, weil das Schulgebäude beim großen Stadtbrand 1500 zerstört wurde. Wir finden aber schon 1421 im Archiv der Familie Westerholt einen Beleg, als sie ein Jahresgedächtnis in der Petruskirche stiftet und dabei eine Summe für die Schule festlegt: „Dey scholemester, dat hey mit synen scholaren... in dey messe helpen to singen, 6 pfennige.“ Es gab damals also schon eine Lateinschule, die wohl einige Jahrzehnte, nachdem Recklinghausen das Stadtrecht erhielt (1236), gegründet wurde.

1642, in den Wirren des Dreijährigen Krieges, wird das Franziskanerkloster in Recklinghausen errichtet, wohl auch als Teil der Gegenreformation, um den Protestantismus zu bekämpfen. Es will Einfluss auf die Lateinschule nehmen, die Stadtväter behalten aber die Entscheidungsbefugnis, bis die Schule dann 1730 in eine Klosterschule umgewandelt wird, zwar weiterhin von der Stadt finanziert, aber jetzt unter geistlicher Leitung, dies war sicherlich ein Konfliktpunkt in den Augen mancher Bürger. Aus dieser Klosterzeit stammen die beiden Einrichtungen, um die es heute bei der Unterzeichnung der Stiftungsurkunde geht: Die Gymnasialkirche ist die ehemalige Klosterkirche, die 1666 gebaut und nach einem Brand 1706 wieder errichtet wurde. Und die alte Bibliothek geht in ihren Anfängen auf die Klosterbücherei zurück. Hier treffen wir also auf eine mehr als dreihundertjährige Tradition.

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 Unterzeichnung der Urkunden

Dies ist die Situation, als der Fürstbischof 1789 eingreift. Die neue Schulkommission wird mit ausgewiesenen Verwaltungsfachleuten und Reformpädagogen besetzt und verkörpert durchaus das aufgeklärte Vernunftdenken dieser Epoche. Sie kommt zu zwei entscheidenden Erkenntnissen: 1. Es gibt eine Überversorgung mit Geistlichen, die nicht alle für die Seelsorge benötigt werden und so nur Pfründe verzehren. 2. Diese Benefizien, d.h. Stiftungen, von denen sie leben, sollen zugunsten der Schule umgewandelt und der Stadt übertragen werden. Und dann benennt die Kommission genau die Benefizien, bei denen die Stadt schon das Patronatsrecht ausübt, also ein Vorschlags- und Verwaltungsrecht besitzt, sicherlich ein geschickter Schachzug. Davon sollen dann 6 Lehrer bezahlt werden, 3 geistliche und 3 weltliche.

Wenn Sie glauben, die Stadt sei glücklich über diese Schenkung, so irren Sie, denn diese hat erkannt, dass die Summe für diesen Zweck nicht ausreicht und sie weiter zuschießen muss. Beide Bürgermeister und alle Ratsmitglieder lehnen mehrmals ab, zuletzt 1793, und die Begründungen verdienen es, hier genannt zu werden. Bürgermeister Kindermann: Am besten wäre es, wenn [...] nur die deutsche Schule bliebe, weil dann nicht so viele Kinder zu Studierten und Müßiggängern, sondern gleich zu nützlichen Hantierungen erzogen würden. Bürgermeister Serres möchte die Benefizien bei den Geistlichen lassen, denn sollte selbst ein Pflichtvergessener darunter sein, so ärgert er nur durch sein Beispiel, während ein Gelehrter im gleichen Falle durch seine Schriften oft mehr verdirbt als hundert Ungelehrte. Und die Einstellung weiterer Lehrer hält er für unnötig, denn ein Lehrer könne zwei Klassen zusammen unterrichten.

Nachdem der Rat einhellig seine Ablehnung verdeutlicht hat, erklärt er allerdings abschließend, der Kurfürstlichen gnädigen Intention, wenn es absolut so sein soll, zu folgen. Und es sollte so sein, denn wir haben das Zeitalter des Absolutismus, und so setzt der Fürstbischof mit Erlass vom 11.12.1793 diesen Schulfonds ein. Doch hier kommt es zum historischen Bruch: Während das Vest noch fest im Schoße des Absolutismus ruht, bricht im Nachbarland mit der Französischen Revolution ein neues Zeitalter an. 1793 herrscht dort Robespierre. Die Monarchie ist beseitigt und in der folgenden napoleonischen Ära wird das europäische Staatensystem zerstört. Die Fürstbistümer werden eingezogen, und so endet nach mehr als 600 Jahren die geistliche Herrschaft über das Vest Recklinghausen.

Jetzt wird die Geschichte des Gymnasialfonds erst spannend:

1815 übernehmen die Preußen das Vest Recklinghausen und beginnen mit durchgreifenden Reformen. Die Benefizien des Schulfonds werden gesichtet, ihre Einkünfte erhöht und die Schule 1820 unter staatliche Schulaufsicht gestellt. Im selben Jahr – sicherlich kein Zufall – stiftet das Erzbistum Köln – längst nicht mehr Landesherr – dennoch den Erlös aus aufgelassenen Benefizien dem Gymnasialfonds, allerdings unter der Bedingung, dass nur noch katholische geistliche Lehrer eingestellt werden. 1825 schenkt der Herzog von Arenberg, unter Napoleon kurzfristig Fürst von Recklinghausen, das Gebäude des Franziskanerklosters, das ihm zugefallen war, und 6000 Taler ebenfalls dem Fonds, und die Stadt folgt ein Jahr später mit 12000 Talern.

Woher diese plötzliche Freigiebigkeit? Ich vermute, sie resultiert aus der Abneigung gegen die preußisch-protestantische Fremdherrschaft; hier hat sich eine vestisch-katholische Fraktion gebildet, die um den Einfluss auf ihr angestammtes Gymnasium kämpft.

Jetzt hat der Gymnasialfonds die Stärke erreicht, um ein Gymnasium mit sechs Lehrkräften zu tragen, und es besitzt auch ein entsprechendes Schulgebäude. Selbstbewusst kann der Schulvorstand 1826 in Münster den Antrag stellen, das Progymnasium zu einem vollständigen Gymnasium auszubauen, und 1829 legen hier die ersten Abiturienten die Prüfung ab. Das ist ein ungewöhnlich früher Termin, besonders für eine Stadt dieser Größenordnung, und er ist nur durch die finanzielle Ausstattung des Gymnasialfonds zu erklären. Und man muss auch die Langzeitwirkung sehen: Das Gymnasium finanziert sich gewissermaßen selbst, fällt also weder der Stadt noch dem Staat zur Last. Das war damals wohl ein einmaliger Fall, und manche größeren und reichen Städte werden mit Verwunderung auf das kleine Landstädtchen geschaut haben, weil es durch eine kurfürstliche Schenkung in diese beneidenswerte Lage gekommen ist. Etwas von diesem Erstaunen klingt dann auch in dem Attribut mit, das sich damals einbürgerte, nämlich das altehrwürdige Gymnasium. So schön diese gefüllte Schatztruhe für Stadt und Schule war und ist, so war sie doch von Anfang an mit dem Problem behaftet, wer denn nun den Zugriff auf sie habe, und das alles wegen dieses historischen Betriebsunfalls. Der Fürstbischof, von Gottes Gnaden Kurfürst von Köln, hatte sicherlich damit gerechnet, dass diese Weltordnung bis zum Jüngsten Tage halten werde, und nun war sie schon zehn Jahre später zerstört. Die Schule war jetzt städtisch, wurde aber durch eine Stiftung finanziert, den Stifter jedoch gab es nicht mehr. Stadt und Schule gehörten einem anderen, einem protestantischen Herrn. Der wollte auch Einfluss nehmen, aber erst 1858, als der Staat sich bereit erklärte, den Fonds zu bezuschussen, wurde der vertraglich abgesichert: Von den acht Mitgliedern des Kuratoriums, das die Schule seit 1829 verwaltete, ernannte das Schulkollegium die eine Hälfte und die Stadt die andere. Um diesen Einfluss ist dann in den nächsten 60 Jahren weiter gekämpft worden. 1898 fühlte sich die Stadt – nur als ein Beispiel – so stark, dass sie auf die staatlichen Zuschüsse verzichtete, damit sie allein verantwortlich über die Anstellung des Direktors bestimmen konnte. Doch dieser Kraftakt wird von der Behörde zehn Jahre später annuliert. Eine weitere Reibungsfläche gab es zwischen der Stadt und der Schule. 1837 versucht der Magistrat die gesamte Vermögensverwaltung an sich zu ziehen, aber die königliche Regierung blockt das ab und bestätigt das Kuratorium in seinem Amt. 1912 gibt es heftige politische Auseinandersetzungen in der Schule und in der Stadt, und wieder versuchen beide Seiten, den Fonds an sich zu bringen. Es geht bis zur Gerichtsklage, aber ein Jahr später folgt dann wieder eine Einigung, eine Kompromissformel: „Das Gymnasium bestreitet [...] nicht, dass der Stadt [...] das Eigentum an dem Gymnasialfonds zusteht. Die Stadt erkennt jedoch ausdrücklich an, dass die Erträgnisse [...] für das Gymnasium zu verwenden sind.“ Und es folgt die Zusicherung, dass bei Grundbuchveränderungen die Zustimmung des Gymnasiums einzuholen sei.

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  Der Autor Theo B. Schulte Coerne in der historischen Bibliothek

Wieder kämpft das Provinzialschulkollegium für die Rechte der Schule, und man muss anerkennend festhalten, dass sich die Behörde in diesen 150 Jahren konsequent für die Sicherung des Fonds eingesetzt hat, und sie respektierte dabei erstaunlicherweise immer den Vorbehalt, dass nur katholische Lehrer eingestellt werden dürfen. (NB: Der Vorbehalt, dass es geistliche Lehrer sein müssten, wurde schon 1829 bei der Wahl des ersten Direktors fallengelassen.) Besonders mutig finde ich den Widerstand 1940, als die Nazis das Vermögen einziehen wollten, und deshalb möchte ich auch hier gerne das alte Attribut anfügen; es war wirklich ein hochwohllöbliches Schulkollegium.

1967 wurde das Kuratorium dann aufgelöst. Es hatte sich bei der Schulleiterwahl auf einen Konflikt mit der Stadt eingelassen, sozusagen eine außerparlamentarische Opposition gebildet, und es gab dazu die Notwendigkeit, über Grundfragen des Stiftungszwecks nachzudenken, denn die Lehrergehälter wurden längst vom Staat übernommen und die reine Katholizität war spätestens nach dem II. Vatikanum nicht mehr zu halten. Aber statt des Nachdenkens folgten dann zwei Jahrzehnte der Sprachlosigkeit, die wir heute offiziell beenden.

Wenn Sie gestatten, erzähle ich Ihnen jetzt noch das Märchen von der wundersamen Aufhebung der Sprachlosigkeit.

Es begab sich im Jahre 1998, dass der Kanzler der Universität Münster, Herr Dr. Anderbrügge, Recklinghäuser und Petriner, einen Vortrag beim Verein ehemaliger Petriner hielt. Bei der anschließenden Besichtigung der alten Bibliothek erklärte Herr Dr. Anderbrügge, der Universitätsbibliothek sei eine Arbeitsstelle angegliedert, die sich im Auftrage des Landes um historische Buchbestände kümmern solle.

Aus diesem Kontakt ist dann die Zusammenarbeit mit dieser Arbeitsstelle entstanden. Sie hat die Bestände gesichtet, als wertvoll befunden und ein Konzept für die Sanierung entwickelt und dazu natürlich auch den Kostenrahmen benannt. Bei der derzeitigen Finanzlage war schnell klar, dass diese Kosten nicht der Stadt aufgebürdet werden konnten, und da entstand allmählich die Idee, sich an eine der großen Stiftungen zu wenden und um Hilfe zu bitten, was bei einem Fonds, der auf eine Stiftung zurückgeht, ja nahe liegen mag. Ich habe im Juni 2000 die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung angeschrieben und erhielt dort im August einen Termin. Das Gespräch verlief in einer angenehmen und konstruktiven Atmosphäre, aber es war doch ein klassisches Prüfungsgespräch, und die Prüfer waren präzise Fachleute. Im Anschluß an das Gespräch stellten sie Bedingungen für eine mögliche Förderung:

1. Die Schule musste ein Nutzungskonzept entwickeln, das Stadt und Region einbezieht.

2. Der Schulträger müsse sich an dem Projekt beteiligen und die sächlichen Kosten für die fachgerechte Unterbringung der Bibliothek übernehmen.

Und jetzt kommt des Märchens zweiter Teil:

Ich hatte erhofft, dass die Krupp-Stiftung die Hälfte der Sanierungssumme übernehmen würde, um die andere Hälfte hätte ich in Recklinghausen betteln müssen. Als die Stiftung hört, dass die Stadt ihren Part übernehmen will, erklärt sie sich bereit, die Gesamtsumme zu tragen. Und die Stadt reaktiviert den ruhenden Gymnasialfonds, finanziert damit einmal die Renovierungskosten, aber – und das ist noch wichtiger – sichert so auch langfristig die historischen Bestände dieser Schule.

Und so findet denn unsere Erzählung ein glückliches Ende, aber wir wissen, dass es sich nicht um eine märchenhafte Fügung handelt, sondern, dass hier Menschen und Institutionen an dieser Lösung gearbeitet und Verantwortung übernommen haben. Für dieses Engagement, für diese Handlungs- und Entscheidungskompetenz möchte ich mich im Namen der Schule bei allen Beteiligten bedanken. Ich nenne insbesondere den Verein ehemaliger Petriner und die Universität Münster, beide haben hier eine zukunftsweisende Rolle gespielt und komme dann zu den beiden entscheidenden Stützen dieser Lösung: Das finanzielle Engagement der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung war der wesentliche Impuls und Rat und Verwaltung haben daraus eine tragfähige Konstruktion entwickelt.

Den nächsten Streit um den Gymnasialfonds überlassen wir der nächsten Generation.

Theo B. Schulte Coerne