Studium Generale Petrinianum Jahrgang III (2023)


Prof. Dr. Christian Kuhlmann: Wie Maschinen lernen – und was wir von ihnen lernen können

Kann eine KI lügen? Ja, das kann sie durchaus. Aber müssen wir deshalb Angst für dem haben, was da gerade bespielsweise mit ChatGPT auf uns zukommt? Nein, aber wir müssen uns mit den Herausforderungen beschäftigen, vor die uns diese neue Technologie stellt, und eine neue Form des Umgangs damit entwicklen.

Künstliche Intelligenz und Formen maschinellen Lernens sind keine Erfindungen des 21 Jahrhunderts. Die Geschichte der Rechenmaschinen geht bis in die Antike zurück. Die Geburtsstunde der Forschung rund um die künstliche Intelligenz im modernen Sinne hat ihren Ursprung in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Erst durch einen massiven Fortschritt in der Bereitstellung von Rechenkapazitäten vor allem durch GPUs mit Mehrkernprozessoren seit ca. 2010 sind jedoch die rasanten Fortschritte möglich gewesen, die seit einigen Monaten beispielsweise durch den Chatbot ChatGPT des Anbieters OpenAI den gesellschaftlichen Diskurs weltweit bestimmen. Dabei ist die Grundidee künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens anhand künstlicher Neuronen mathematisch relativ simpel zu umreißen, da die Entscheidungen, die ein einzelnes künstliches Neuron trifft, letztlich nur auf einer linearen Approximation beruhen. Die Parameter dieser Approximation werden durch Verifikation und Falsifikation der Antwortversuche der KI von Neuron zu Neuron und von Layer zu Layer innerhalb eines großen neuronalen Netzes dabei mittels Matrizenmultiplikation immer wieder neu gewichtet, so dass sich die Antworten schrittweise verbessern, also die KI schrittweise dazulernt. Nun ist die schiere Größe der mittlerweile zur Verfügung stehenden neuronalen Netze der entscheidende Faktor, denen KIs aktueller Prägung ihre Fähigkeiten verdanken. Mithilfe der zur Verfügung stehenden riesigen Rechenkapazitäten können diese Netzte nicht weniger riesige Datenmengen verarbeiten und mithilfe milliardenfacher Parameter und deren milliardenfacher Anpassung in einem immer weiter fortschreitenden Lernprozess den Leistungsstand erreichen, den wir aktuell anhand KI-generierter Texte, Bilder, Audios und Videos staunend bewundern. Gerade diese Masse mannigfach vernetzter einzelner Neuronen führt aber wie bei einem Blick in ein menschliches Gehirn dazu, dass der einzelne Entscheidungsprozesss, der konkrete Vorgang vom Input bis zum Output der KI nicht nur für den Laien wie Zauberei anmutet, sondern auch für Profis letztlich kaum mehr nachvollziehbar ist.

Diese informatischen und mathematischen Grundlagen hat Prof. Dr. Christian Kuhlmann im Rahmen des Studium Generale Petrinanum am 03.05.2023 einem breitem Publikum in der Petriner Aula vorgestellt. In der lebhaft geführten Diskussion im Anschluss an den Vortrag wurde deutlich, dass die mitunter schon gespenstisch anmutenden Fähigkeiten moderner KIs dabei kein Grund zur Sorge oder gar Angst sein sollten. Wie bei jeder neuen technischen Errungenschaft, bei jeder neuen Technologie in der Geschichte der Menschheit sind wir nun aber als Gesellschaft und als einzelnes Individuum vor die Herausforderung gestellt, einen angemessen Umgang und eine angemessen kritische Haltung gegenüber dieser neuartigen Technologie auszuloten. Ethische Fragestellungen, mögliche Gefahren der Konzentration dieser Technologie in den Händen weniger privater Großkonzerne, aber auch Auswirkungen der nun erst beginnenden Durchdringung weiter Teile der Gesellschaft durch KI-Anwendungen beispielsweise auf die zukünftige Arbeitswelt waren Aspekte, denen das Publikum gemeinsam mit Dr. Kuhlmann nachspüren durfte. Man war sich am Ende des Abends einig: Dieses Thema wird uns weiter beschäftigen und ein Abend wie dieser, an dem wir mehr über die Hintergründe dieser Technologie erfahren und in den Austausch miteinander treten können, kann ein Anfang für einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über den zukünftigen Umgang mit Möglichkeiten und Grenzen künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens sein.

Der Recklinghäuser Dr. Christian Kuhlman studierte nach seinem Abitur am Freiherr-vom-Stein Gymnasium an der Universität Dortmund Mathematik und Informatik und promovierte an der Ruhr-Universität Bochum in Mathematik zu Themen des „Maschinellen Lernens“, einem Teilgebiet der „Künstlichen Intelligenz“. Nachdem er zuvor bereits hat er fast eine Dekade lang am Standort Recklinghausen Westfälischen Hochschule lehrte, wurde er 2018 ebenfalls an der Westfälischen Hochschule am Standort Gelsenkirchen auf die Professur für Mathematik und Informatik im Studiengang Fachbereich Elektrotechnik und angewandte Naturwissenschaften berufen.

Prof. Dr. Lars Schmelter: Warum noch Fremdsprachenunterricht?

Wozu überhaupt noch Fremdsprachen lernen? Es gibt doch KI! Welche Möglichkeiten, Grenzen und Herausforderungen aber bieten neue KI-Tools tatsächlich für das Lernen von Fremdsprachen, für Multilingualität und Multikulturalität, für den Erwerb interkultereller und intersprachlicher Kompetenzen?

Am 15. November 2023 referierte Prof. Dr. Lars Schmelter von der Bergischen Universität Wuppertal im Rahmen des Studiums Generale Petrinianum und hielt einen Vortrag, in welchem er die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von KI in Zusammenhang mit Sprache und Kommunikation ansprach.

Der Vortrag umfasste eine Vielzahl von Themen, darunter die Vielfalt von Programmen, die es heute im Bereich von Fremdsprachen gibt. Digitale Wörterbücher, Rechtschreibhilfen oder auch Programme, wie "Sayhi”. „Sayhi“ zum Beispiel übersetzt Gespräche und sei vor allem momentan an Grundschulen sehr hilfreich bei der Kommunikation zwischen deutschen und ukrainischen Kindern, so Prof. Dr. Schmelter.  Doch die zentrale Frage, die sich als roter Faden durch den Vortrag zog, war: Welche fremdsprachlichen Lernziele der Schulen können mit digitalen Tools, aber ohne Lernen erreicht werden?

Eine umfassende Analyse der Bildungsstandards in Deutschland und der Schweiz ergab, dass einige Lernziele in der Sekundarstufe 1 mithilfe von kostenlosen digitalen Tools abgedeckt werden können. Die einzige Ausnahme bildete hier die Mündlichkeit. Die spontane Interaktion zwischen Menschen ist immer noch eine große Hürde, welche die Technik bisher nicht zu überwinden weiß.

Prof. Dr. Schmelter zog einen interessanten Vergleich zwischen menschlicher und maschineller Texterstellung. Demnach können Menschen basierend auf wenigen Informationen unendlich viele neue Inhalte erzeugen, während KIs, wie ChatGPT und DeepL, ein Muster aus Informationen reproduzieren, ohne dabei ein tiefgründigeres Verständnis für die Aufgabe zu entwickeln. 

Während des Vortrags wurde manifest, welches Potenzial digitale Tools für die Kommunikation zwischen Menschen mit sich bringen. Sie bringen aber auch Schwierigkeiten in der Übersetzung mit sich, die vor allem durch kulturelle Unterschiede, Ironie, Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen und Redewendungen entstehen. 

In Zuge dessen wurde darauf aufmerksam gemacht, dass man digitale Tools, wie KIs, nur nutzen sollte, wenn man sich seiner eigenen Kompetenzen bewusst sei und das Ergebnis der digitalen Tools selber auf Richtigkeit überprüfen können. Ansonsten sollte man einfach kenntlich machen, dass zum Beispiel eine übersetzte Textnachricht mit einer KI erzeugt wurde.

Zum Schluss betonte Prof. Dr. Schmelter, dass der Fremdsprachenunterricht trotz technischer Fortschritte weiter eine wichtige und unverzichtbare Rolle im Schulalltag spielen werde. So werde sichergestellt, dass Schülerinnen und Schüler ein mündiges, sprachlich vielfältiges und kulturell angemessenes Handeln in der Gesellschaft entwickeln können.

Der Vortrag verschaffte uns einen guten Einblick hinsichtlich der Debatte über den Einsatz von KIs im Fremdsprachenunterricht, und es bleibt weiterhin spannend zu beobachten, wie sich digitale Tools weiter in den Schulalltag einbauen und integrieren lassen.

Lars Schmelter wurde in Recklinghausen geboren und studierte nach dem Abitur am Theodor-Heuss-Gymnasium Französisch und Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Dort promovierte er im Fach Sprachlehrforschung. Nach einer Tätigkeit als DAAD-Lektor in Frankreich war er Juniorprofessor im Europalehramt der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Seit 2007 hat er die Professur für Französisch und seine Didaktik an der Bergischen Universität Wuppertal inne. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Mehrsprachigkeitsdidaktik, der bilinguale Unterricht und das Üben von Wortschatz und Grammatik. Von 2015 bis 2021 war Lars Schmelter Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung. Als Experte für das Fach Französisch war er an der Weiterentwicklung der KMK-Bildungsstandards für die Erste Fremdsprache beteiligt.