Beteiligung des Gymnasium Petrinum an der Revolution von 1848


Dr. Bernard Prein (Abiturientia 1949) hat uns den folgenden Beitrag zur Verfügung gestellt. Der im Text erwähnte Zeitzeuge Friedrich Prein (1842-1936), Großvater des Autors, hat selbst Bezüge zu unserer Schule. Dr. August Prein, eines seiner sechs Kinder, unterrichtete 1921-1931 als Geistlicher Studienrat am Gymnasium Petrinum. So erscheint es verständlich, dass bereits sein Kollege Dr. Pennings in seinen Veröffentlichungen über die Revolution ausdrücklich auf die Erinnerungen von Friedrich Prein Bezug nehmen konnte.

Über die 150 Jahre zurückliegenden Ereignisse ist in den Medien und in der sonstigen Öffentlichkeit, auch in Recklinghausen, vieles publiziert worden. Das Stichwort Petrinum habe ich dabei allerdings vermisst. Die Ausführungen von Dr. Pennings1 in der Vestischen Zeitschrift Jahrgang 1921 und die schriftlich festgehaltenen Erinnerungen meines Großvaters Friedrich Prein (1842 - 1936) haben mich zu dem Versuch bewogen, diese Lücke zu schließen.

Dr. Pennings befasst sich zunächst mit der Vorgeschichte der Revolution und erwähnt dabe, dass die Wahl der zwölf Stadtverordneten nach der revidierten Städteordnung des Jahres 1831 am 24. April 1836 in der Franziskanerkirche (d.h. Gymnasialkirche) stattfand und mit einer Feierstunde in der Aula des Gymnasiums abgeschlossen wurde. Er schildert dann die Entstehung von tief greifender Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die wirtschaftliche und politische Entwicklung unter dem neuen preussischen König Friedrich Wilhelm IV., der 1840 den Thron bestiegen hatte und fährt dann fort: »Da brach in Paris die Februarrevolution aus und der zündende Funke flog über den Rhein in den hier aufgehäuften Brennstoff hinein und bald loderten auch in Deutschland allenthalben die Flammen der Revolution lichterloh empor.«

Aufgeschreckt von den Barrikadenkämpfen in Berlin am 18. März 1848, veranlasste der König die Verabschiedung eines Wahlgesetzes für die Wahlen zur preußischen Nationalversammlung, die eine Verfassung für Preußen verabschieden sollte. Dies wurde von der Bevölkerung freudig begrüßt.

Um Unruhen in Recklinghausen zuvorzukommen, riefen Magistrat und Stadtverordnete zur Bildung einer Bürgerwehr auf. Sie wurde bereits am 24. März gebildet. Pennings fährt in seinem Bericht fort: »Rühmend wird hervorgehoben, dass auch die Studenten der beiden oberen Klassen des Gymnasiums – (damals wurden die Gymnasiasten auch von den Behörden Studenten genannt) – unter Anführung ihrer Lehrer bereitwilligst beigetreten seien. Die Mitglieder der Bürgerwehr waren, ähnlich wie bei den Unruhen vor zwei Jahren, kenntlich durch eine weiße Binde um den linken Unterarm. Am 12. April besteht die Bürgerwehr bereits aus 420 Mann, die sich mit rühmlichen Eifer dem Nacht- und Patrouillendienst widmeten. Bewaffnet sind 100 von ihnen mit alten französischen Steinschlossgewehren, Beutestücken aus der Zeit der Befreiungskriege, die vom Zeughaus in Minden auf Ersuchen des Magistrats zur Verfügung gestellt worden waren. Der Rest musste mit der Pike Dienst tun. Außer der Gymnasiastenkompanie bestand die Bürgerwehr aus vier Kompanien.« Hinzu kam eine Kompagnie aus Hillen. Die Gymnasiastenkompanie stand unter der Führung des Direktors Nieberding, des Professors Caspers (mit einer Pike bewaffnet) und der Oberlehrer Heumann und Hohoff.

 

 Dr. William Caspers (1821 bis 1873 Oberlehrer und Professor am Gymnasium) & Dr. Karl Nieberding (1843 bis 1856 Direktor des Gymnasiums, 1856 bis 1885 Direktor des Gymnasiums in Gleiwitz)

Am 16. Juli 1848 schreibt der Gymnasialdirektor Nieberding an den Oberst der Bürgerwehr, Gerichtsdirektor Reinking: »Da gewaltsame Angriffe auf Personen und Eigentum vor der Hand nicht mehr zu befürchten sind und solche abzuwehren doch der eigentliche Zweck bei Errichtung der Bürgergarde war, so bitte ich ergebenst, die Schüler des Gymnasiums, welche die fünfte Compagnie bilden, zu den nächtlichen Patrouillen einstweilen nicht heranziehen zu wollen. Im Falle wirklich drohender Gefahr wird das Gymnasium gerne seine Kräfte zur Verfügung stellen.« Darauf ordnet Oberst Reinking an: »Die Schüler des Gymnasiums sind zu den nächtlichen Patrouillen vor der Hand nicht mehr heranzuziehen.«

Die vier Wahlräume für die Wahlen am ersten Mai waren:

  1. die Aula des Gymnasiums,
  2. das Rathaus,
  3. die Gymnasialkirche,
  4. die Pfarrkirche.

Gewählt wurde in die preußische Nationalversammlung in Berlin der Recklinghäuser Dr. med. Funcke und in die Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt der Münsteraner Dr. Junkermann.

Die Bevölkerung war jedoch mit dem Verhalten von Dr. Funcke nicht zufrieden und forderte ihn zum Rücktritt auf. Ende November machte sich der Unwille der Bevölkerung gegen ihn in einem Katzenständchen vor seinem Hause auf dem Markt Luft. Hierüber schreibt Johannes Janssen, der damals als Oberprimaner in Recklinghausen weilte, an seine Eltern: »Vergangenen Sonntag wurde dem hiesigen Deputierten nach Berlin, der sich auf seiten des Königs hält, ein fürchterliches Katzenständchen gebracht, wodurch dessen Frau so erschreckt wurde, dass sie noch bis jetzt krank darniederliegt.

Auch den Freunden und Anhängern des Dr. Funcke ließ man seine Stellungnahme entgelten, in dem man ihnen die Fensterscheiben einwarf, darunter auch einem Professor des Gymnasiums, dem sie dutzendweise zertrümmert wurden. Der König löste die preußische Nationalversammlung auf und erließ am fünften Dezember 1848 ein neues Wahlgesetz, wonach fortan zwei Kammern gewählt werden sollten. Zu der zweiten Kammer sollte jeder Preuße wahlberechtigt sein, zu der ersten nur diejenigen, die einen bestimmten Steuersatz zahlten oder ein entsprechend großes Vermögen nachweisen konnten. Beide Kammern sollten gleichberechtigt nebeneinander stehen. Damit war die Reaktion eingeleitet; denn der Grundsatz der Revolution, dass alle Bürger des Staates gleichwertig und gleichberechtigt sein sollten, war damit durchbrochen.

Die neue Wahl fand am 22. Januar 1849 statt. Wiederum wurde in vier Wahlräumen gewählt, doch traten an die Stelle der Gymnasialkirche und der Pfarrkirche die Volksschule und der Saal des Römischen Hofes.

Am 18. März 1849 feierten die Recklinghäuser den Jahrestag der Revolution mit Gottesdienst und einer Kundgebung auf dem Marktplatz mit extra gezimmertem Rednerpult. Die Erinnerungen an den Fortgang der Veranstaltung werden anlässlich des 90. Geburtstages von Friedrich Prein wie folgt beschrieben:

»Unsere ›Studenten‹ standen begeistert in Reih und Glied, veranstalteten einen Fackelzug, an der Spitze die beiden städtischen Trommler. [...] Der Zug ging durch die ganze Stadt und endete [...] vor dem Lohtor. Dort wurden die Fackeln auf einen Haufen geworfen und unter Absingen von Freiheitsliedern verbrannt. Die gesamte Bürgerschaft war unter Führung des Bürgermeisters Bracht auf den Beinen und alles sang das uns harmlos erscheinende Kampflied:

»Freiheit, Freiheit, Republik

Wär’n wir doch den König quitt!

Haben wir keinen König mehr,

Dann zahl’n wir auch keine Steuern mehr.«

(Der Autor des Presseartikels fährt kommentierend fort:) »Dass damals die Gymnasiasten eine gewisse Rolle im Städtchen spielen konnten, hat seinen besonderen Grund. Damals war das Recklinghäuser Gymnasium weit und breit die einzige Vollanstalt und hatte deshalb großen Zuspruch von auswärts. Von weither schickten die wohlhabenden Eltern, besonders auch der Adel, seine Söhne hier auf das Gymnasium. [...] Das Wohnungs- und Kostgeld dieser fast ausschließlich aus Auswärtigen bestehenden Schülerschaft machte den Lebensunterhalt einer großen Anzahl recklinghäuser Familien aus. So kam der junge Dachs von Pennäler zu leicht erworbenem Ansehen und, wer will es ihm verargen, nutzte es weidlich aus.«

Doch als der König am 27. April die zweite Kammer auflöste, schlug die Stimmung um. Und als dann der König für die neuzuwählende zweite Kammer das Dreiklassenwahlrecht einführte, das im wesentlichen seine Gültigkeit bis zum Jahre 1918 behielt, »da trat an die Stelle der Enttäuschung das Gefühl ohnmächtigen Grimms«. Es kam am 17. Mai auf dem Marktplatz zu einer gewaltigen Massenkundgebung gegen das neue Wahlgesetz, der in den folgenden Nächten wiederholte Strassenskandale folgten.

Von den 777 Urwählern gingen nur 79 zu Wahl. Selbst in der ersten und zweiten Klasse war die Wahlbeteiligung äußerst gering, ein Beweis dafür, dass die Bevölkerung sich einig war in der Verurteilung der von der Regierung geübten Gewaltpolitik. Von den 79 Wählern waren achtundvierzig Beamte, drei Geistliche, zwölf Handeltreibende, neun Arbeiter und sieben Landwehrmänner. Diese Wahlenthaltung der Regierungsgegner hatte für die Regierung die günstige Folge, dass sie ein Parlament erhielt, das in allem ihren Wünschen gemäß war.